Anarcha-feministischer Aufruf zum libertären 1. Mai in Bonn (+ FLTI-Block und Soliparty)

Der 1. Mai steht traditionell im Zeichen der Arbeiter_innenbewegung. Bezug genommen wird dabei in der Regel primär auf die offensichtlichen Ausbeutungsverhältnisse, die alle arbeitenden Teile der Gesellschaft – teils stärker, teils weniger stark – betreffen. Wir möchten diesen Blick mit unserem Aufruf und auf der Demo um feministische Perspektiven erweitern.

Wie auch cis-Männer* (1) sind FLTI* (2) im Kapitalismus meistens zur Lohnarbeit gezwungen, sind hierbei jedoch verstärkt benachteiligt und darüber hinaus von weiteren Ausbeutungsverhältnissen betroffen.

Verstärkte Benachteiligung bezüglich der Lohnarbeit zeigt sich insbesondere in schlechterer Bezahlung für gleiche Arbeit, bevorzugter Einstellung männlicher Bewerber und schlechteren Aufstiegsmöglichkeiten trotz gleicher oder besserer Qualifikation. Außerdem gibt es nach wie vor klassische „Frauenberufe“, die in der Regel schlechter bezahlt, gesellschaftlich weniger wertgeschätzt und daher von Männern* generell kaum übernommen werden möchten.

Über diese Aspekte hinaus sind FLTI* von einer breitgefächerten Palette an zusätzlichen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen betroffen. So wird unter anderem der Großteil der Care-Arbeit weiterhin von Frauen* übernommen. Das heißt, dass sie nach der Lohnarbeit noch viel von ihrer Freizeit unentgeltlich für Kinderversorgung, Haus- und Beziehungsarbeit sowie Alten- und Krankenpflege aufwenden. Diese Arbeiten werden von der Gesellschaft nicht gewürdigt, sind aber für das Funktionieren und den Fortbestand der kapitalistischen Ordnung elementar.

FLTI* sind außerdem in allen Bereichen der Gesellschaft, vor allem aber auch in der Arbeitswelt, von sexistischen Vorurteilen und Objektivierungen betroffen. Teilweise hierdurch bedingt sind auch sexualisierte Übergriffe, denen FLTI* u.a. im Arbeitsalltag ausgesetzt sind. Abhängigkeitsverhältnisse bedingen hier oftmals eine besondere Belastungssituation.

Die Verhältnisse müssen dabei immer auch aus einer intersektionalen Perspektive betrachtet und kritisiert werden. So sind beispielsweise Frauen* of Colour, Trans*- und Inter*personen und Menschen, die nicht den Normen körperlicher und geistiger Gesundheit entsprechen, von weiteren Diskiminierungskategorien betroffen, durch deren Zusammenwirken spezifische Unterdrückungsverhältnisse entstehen.

Auch in der links-emanzipatorischen Szene werden diese Mechanismen – trotz teils anderslautender Ansprüche – häufig reproduziert und Realitäten und Bedürfnisse von FLTI* nicht wahrgenommen oder berücksichtigt. Viele cis-Männer* setzen sich zwar mit (gesamt)gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen auseinander, erkennen diese aber nur allzu selten in sich selbst und hinterfragen sie entsprechend nicht. Feministische Perspektiven werden oft der Behandlung anderer Themen untergeordnet und als Nebenwiderspruch behandelt.

Auch die klassische Rollenverteilung setzt sich in den meisten Gruppen fort. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Verteilung bestimmter Aufgaben (kochen, Toiletten putzen, Protokoll führen) oder dem Verhalten innerhalb der Gruppe oder auf Aktionen (Redeverhalten, körperliche Präsenz). Deswegen sind FLTI* gezwungen, permanent einen doppelten Kampf zu führen: Nicht nur gegen staatliche und gesellschaftliche Ausbeutung, sondern auch gegen patriarchale Verhältnisse innerhalb der eigenen Bewegung.

Wir als FLTI* weigern uns aber, den Rahmen für einen funktionierenden Kapitalismus zu bieten. Die Parteien und großen Gewerkschaften, die mit kleinen sozialen Besserungen das System am Laufen halten, damit aber den kämpferischen Geist der Arbeiter_innen-Bewegung im Keim ersticken, verhindern nur die Selbstverwaltung der Menschen. Daher müssen die oben beschriebenen lohnabhängigen Arbeitsverhältnisse abgeschafft, selbstverwaltete Betriebe eingerichtet und die Arbeit in selbstbestimmter und kollektiver Weise nach nicht geschlechterspezifischen Gesichtspunkten aufgeteilt werden.

Um im Rahmen der Demo am 1. Mai einen Raum für Empowerment und ohne cis-männliches* Dominanzverhalten für FLTI* zu ermöglichen wird es FLTI*-Reihen geben. Vor Demostart wird ein Treffpunkt ausgerufen, wo sich Interessierte sammeln können um gemeinsam zu überlegen, wo genau die Reihen laufen möchten. Wenn der Wunsch besteht, kann die Demo von FLTI* angeführt werden.

Wir fordern nicht bloß eine bessergestellte Situation im bestehenden System sondern wollen Staat, Kapitalismus und Patriarchat als Ganzes kritisieren, bekämpfen, dekonstruieren und überwinden.
Der Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung von FLTI* steht nicht in Konkurrenz zum antikapitalistischen Kampf sondern ist untrennbar Teil desselben.

Für ein selbstbestimmtes Leben! Für die Emanzipation von Arbeit, Kapital, Staat und Patriarchat!

about:fem

1. cis = sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizierend
2. FLTI = Frauen*, Lesben*, Trans*, intergeschlechtliche Personen

Die Demo organisieren wir gemeinsam mit dem Libertären Forum Bonn. Mehr Infos und die Aufrufe anderer Gruppen findet ihr auf der Website und auf linksunten, wo auch der allgemeine Bündnisaufruf veröffentlicht ist.

Kommt auch mit euren Freund_innen zur Soliparty für das Bündnis am 22.4. ab 20h00 in der LC36!
Es wird Cocktails, warmes Essen, Snacks und einen Infotisch geben. Offen für all gender, aber selbstverständlich mit Awarenessstrukturen.

Weitere Informationen in der Facebook-Veranstaltung.